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Digitaler Aufbruch: Europas Weg zur Souveränität
MYRA NEWS | 16. April2025
Europa und Deutschland stehen vor einem digitalpolitischen Wendepunkt. Die USA nehmen eine konfrontative Haltung ein, bezeichnen europäische Datenschutzbestimmungen als „unfair“ und agieren mittels aggressiver Zollpolitik. Chinas Digitalpolitik ist geprägt von strengen Regulierungen sowie einer verstärkten Kontrolle über das Internet und digitale Plattformen. All dies hat gleichsam Folgen für den Umgang mit den ethischen Fragen der Digitalisierung auf globaler Ebene. Wie reagieren Deutschland und Europa auf diese neue Situation: Wie bleiben wir Herr unserer Daten und agieren souverän nach geeinten europäischen Standards? Ergeben sich hieraus sogar wirtschaftliche und politische Chancen, die europäische Technologielandschaft zu stärken? Fragen, denen sich die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Frau Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider, derzeit täglich stellen muss. Myra Security hat bei ihr nachgefragt.
Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider (Bild: Johanna Wittig/BfDI)
Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider (Bild: Johanna Wittig/BfDI)
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Specht-Riemenschneider, Sie sind seit September 2024 in bundesweiter Verantwortung und ergo noch sehr frisch im Amt. Zuvor waren Sie Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Recht der Datenwirtschaft, des Datenschutzes, der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Was nehmen Sie daraus am meisten mit in Ihr aktuelles Wirken, welche Synergien ergeben sich in Ihren Augen und worin sehen Sie daraus ableitend die größten Herausforderungen für Deutschland?
Specht-Riemenschneider: Meine wissenschaftliche Arbeit hat mir immer wieder gezeigt, wie wichtig die enge Verzahnung von Recht, Technik und Gesellschaft ist. Diese Perspektive habe ich auch als BfDI: Datenschutz muss Innovation ermöglichen und zugleich Grundrechte schützen. Die größten Herausforderungen sehe ich in der Regulierung neuer Technologien, der europäischen und internationalen Zusammenarbeit sowie der Sensibilisierung der Gesellschaft. Wir brauchen klare rechtliche Rahmenbedingungen, die Sicherheit und Vertrauen in der digitalen Welt fördern.
Schlagwort Herausforderung: Beim Ausbruch der Corona-Pandemie haben wir gesehen, dass wir bei medizinischer Schutzausrüstung von China abhängig sind. Beim Ausbruch des Ukraine-Konflikts ging es unter anderem um Abhängigkeiten im Bereich von Energie und Verteidigung. Auch im digitalen Bereich sind wir von nicht-europäischen Lösungen abhängig und das Thema Digitale Souveränität wird erst dann wirklich behandelt, wenn ein US-Vizepräsident die Münchner Sicherheitskonferenz in Aufruhr versetzt und Multipolarität in ein ganz neues Licht gerückt wird. Sehen wir diese Abhängigkeiten im Vorfeld nicht oder wollen wir sie nicht sehen? Besser gefragt: Was muss in Ihren Augen getan werden, um diese zu reduzieren?
Die Abhängigkeiten sind oft bekannt, werden aber zu spät oder nicht mit der nötigen Konsequenz adressiert. Ein wesentlicher Grund ist, dass wirtschaftliche Effizienz und kurzfristige Kostenersparnis lange Priorität hatten, während strategische Resilienz und digitale Souveränität erst in Krisenmomenten ins Zentrum rücken. Für digitale und technische Souveränität braucht es eine vorausschauende Digital- und Industriepolitik, die gezielt europäische Technologien und Infrastrukturen stärkt. Das bedeutet Investitionen in Schlüsseltechnologien wie Cloud, KI und Halbleiter, die europäische Werte verwirklichen. Aber auch eine verstärkte europäische Zusammenarbeit, um Skaleneffekte zu nutzen und eigene Handlungsfähigkeit durch gebündelte Nachfrage zu stärken. Zudem müssen regulatorische Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie grundrechtskonforme Innovation ermöglichen, ohne uns gleichzeitig in neue Abhängigkeiten zu begeben. Kurz gesagt: Wir brauchen weniger Reaktion und mehr strategische Weitsicht.
Der EU-US-Datenschutzrahmen ist bedroht und die US-Regierung denkt über Strafzölle aufgrund von EU-Regulierungen wie der DSGVO nach. Wie können wir die Abhängigkeit von nicht-europäischen Technologien reduzieren und die Kontrolle über Daten innerhalb der EU behalten?
Die Vorgänge in den USA sehe ich mit Sorge und hoffe, dass die EU kluge Entscheidungen treffen wird. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass die europäischen Unternehmen ihren Wissensvorsprung in datenschutzfreundlicher Technologie endlich stärker als Wettbewerbsvorteil erkennen. Ich stehe mit meinem Haus bereit, dabei mit Information und Beratung zu unterstützen und Wege zu bereiten.
Es gibt keinen Mangel an leistungsfähigen Technologieanbietern in der EU. Es wird mehrfach konstatiert, dass das Wissen vorhanden ist, der Instrumentenkasten bereitsteht, Deutschland und die EU aber gehemmt sind bei der konkreten Umsetzung. Worin liegt das in Ihren Augen begründet?
Für mich ist die entscheidende Frage: Was hält uns ab? Digitalpolitik muss eine Vision verfolgen, ein Ziel, an dem sich gesetzgeberisches Handeln ausrichten kann. Werteorientierte Digitalisierung könnte so ein Ziel sein. Aufsicht kann durch Information, Beratung, aktive Unterstützung wie Reallabore aktivierend sein. Ich biete das gerne an. Aber die passenden Regeln dafür, die Innovation ermöglichen und gleichzeitig Grundrechte schützen, muss der Gesetzgeber machen. Ich meine, wir brauchen zielgerichtete Investition in Lösungen, die unsere europäischen Werte in eine digitale Zukunft tragen.
FAZIT
Deutschland darf in der Digitalpolitik nicht länger auf Sicht fahren. Abhängigkeiten sind immer ein Risiko. Diese gilt es schonungslos zu identifizieren und zu reduzieren. Deutschland und Europa befinden sich im Reaktionsmodus. Die nun zu treffenden Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen dafür sorgen, dass solche Zeiten der Unsicherheit und der zeit- und kostenintensiven Übergänge der Vergangenheit angehören.
„Wenn wir die aktuelle geopolitische Situation jetzt nicht zum Anlass nehmen, uns technologisch zu befreien und zu unserem eigenen Souverän zu werden – wann dann?“, ergänzt Katharina M. Schwarz, Head of Global Affairs bei Myra Security. „Europa hat die Fähigkeiten, die Köpfe und das Budget, um eine Digitallandschaft aufzubauen, die auf geeinten, europäischen Werten basiert. Alle weiteren Ausreden sind abwegig. Wir sind brillant im Finden mächtiger Worte: Zeitenwende, Doppelwumms, Bazooka oder ‚Whatever it takes‘. Es sind aber die Taten, die in Deutschland und der EU im Sinne einer Europäischen Cyberunion nun folgen müssen. Wir müssen zu den digitalen Spielführern aufsteigen. Sonst bleiben wir am Ende nur der Spielball.“
Nicolas Armer
PR & Communications Manager
Nicolas Armer ist als PR & Communications Manager bei Myra für die Öffentlichkeitsarbeit und den Ausbau der Kommunikationsstrategien verantwortlich. Zuvor war er als PR-Berater bei der Münchner Agentur Akima Media, wo er vor allem internationale Kunden in der Cybersicherheits- und Data-Management-Branche betreute.
Seine berufliche Laufbahn begann Nicolas als Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Danach absolvierte er ein Volontariat bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa), was den Grundstein für seine journalistische Karriere legte. Als Fotojournalist war er über acht Jahre für deutsche und englischsprachige Medien sowie für namhafte Unternehmen tätig und berichtete aus verschiedenen Teilen der Welt. Heute widmet sich Nicolas den Geschichten aus dem Cyberspace, einem Bereich, der sich derzeit wohl am schnellsten verändert.